"In Zeiten von Lehrermangel, immer mehr Quereinsteigern und wachsenden Herausforderungen an den Schulen muss sich gerade in der Fortbildung der Lehrkräfte vieles ändern. Dies wurde bei einer Fachkonferenz deutlich, zu der der „Deutsche Verein zur Förderung der Lehrerinnen und Lehrerfortbildung“ (DVLfB) und die GEW Anfang Dezember 2019 eingeladen hatten. Gut 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren nach Berlin gereist, um über die Zukunft der Lehrkräftefortbildung zu diskutieren. Wo hakt es, was muss sich ändern, wie kann das gelingen?
Es begann mit schlechten Nachrichten: Es gibt zu wenig Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland, kaum empirische Daten über Bedarf, Angebote und Nutzung, keine systematische öffentliche Rechenschaftslegung – geschweige denn gemeinsame Qualitätsmaßstäbe oder eine systematische Wirkungsforschung. Selbst die 500 Millionen Euro aus dem Förderprogramm von Bund und Ländern „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ wandern ausschließlich an die Hochschulen. Lebenslanges Lernen für Lehrkräfte? Fehlanzeige. „Deutsche Betriebe geben für die Weiterqualifizierung des Personals im Schnitt etwa dreimal so viel aus wie der Staat für die Fortbildung der Lehrkräfte“, kritisierte der Hamburger Fortbildungsexperte Peter Daschner. Er forderte zum Auftakt der Fachkonferenz „Qualität, Wirksamkeit und Zukunft der Fortbildung von Lehrer*innen“ kämpferisch: „Die schlechten Nachrichten sind erst recht ein Grund, es mit frohem Herzen besser zu machen.“
20 Jahre Reformstau
Bisher hat Deutschland nicht mal an der internationalen Qualitätsdiskussion im Rahmen der OECD-Studie TALIS (Teaching and Learning International Survey) teilgenommen. „Wir koppeln uns international ab“, kritisierte GEWVorstandsmitglied Ilka Hoffmann. DVLfBVorsitzender Rolf Hanisch unterstrich die Wichtigkeit der Lehrkräftefortbildung: „Alles, was ich heute kann, habe ich nach meinem Studium gelernt“, so Hanisch. „Seit 20 Jahren wissen wir, wie es besser geht, aber der Reformstau hängt wie Mehltau über der Republik.“
Die Krux: Formal wird der Lehrkräftefortbildung durchaus ein hoher Stellenwert eingeräumt, sowohl in den Lehrerbildungsgesetzen der Länder als auch in den Erklärungen der Kultusministerkonferenz. Doch in der Praxis ist das kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. So ist Fortbildung in allen Bundesländern zwar Pflicht, doch quantitative Vorgaben und Kontrollen gibt es lediglich in Bayern, Bremen und Hamburg. Schlimmer noch: Als Bildungsforscher Daschner im Rahmen eines DVLfB-Projekts der Faktenlage auf den Grund gehen wollte, stieß er in den Bildungsministerien auf taube Ohren: Keine Auskunft. „Es schien einen Common Sense zwischen den Ländern zu geben: Wir wollen einen Vergleich unserer Systeme verhindern“, so Daschner (s. E&W 12/2018).
Der Bildungsforscher stützte sich für seine Bestandsaufnahme daher auf die Analyse aller öffentlichen schriftlichen Dokumente, von Gesetzen über Studien bis zu Dokumentationen von Expertengesprächen. Ergebnis: viel Intransparenz, manchmal falsche Zahlen, oft unterschiedliche Definitionen von Daten. So kommen die Bundesländer je nach Berechnungskriterien mal auf 92, mal auf 611 Euro Pro-Kopf-Ausgaben für die Lehrkräftefortbildung. Grobes Fazit: Fortbildungsbedarf und -angebot gehen oft aneinander vorbei, beim Thema Migration und Inklusion etwa sind sie völlig unzureichend. Es dominieren wenig effektive Kurzformate und fachspezifische Themen, es fehlen systematische Fortbildungsplanung und Qualitätssicherung.
Botho Priebe, Direktor a. D. des Instituts für Schulische Fortbildung und Schulpsychologische Beratung Rheinland- Pfalz, forderte daher: „Wir müssen das staatliche Fortbildungssystem grundlegend reformieren.“ Die Eckpunkte hat er in einem jüngst publizierten Gutachten erarbeitet. Zu ihnen gehören: eine verpflichtende Fortbildungsplanung durch die Schulen mit festen Budgets; landesweite Fortbildungsanbieter mit guter Angebotsauswahl, hauptberuflichen Leitungen und qualifiziertem Personal, Zielvereinbarungen zwischen Schulaufsicht und Schulen und eine enge Zusammenarbeit für die Qualitätssicherung vor Ort sowie systematische Steuerung durch die Bildungsministerien. Priebe: „Es ist Zeit für einen Masterplan Lehrerfortbildung.“
Mehr Kooperation nötig
In der Podiumsdiskussion waren sich alle Diskutanten einig: Damit mehr berufsbegleitende Fortbildung für Lehrkräfte realistisch ist, brauchen Schulen auch mehr Stundendeputate, die Freiraum für Kooperation und Fortbildungsplanung eröffnen. Daschner: „Es ist überfällig, die Fortbildung gegenüber den ersten beiden Phasen der Lehrerbildung zu stärken.“ Zum Beispiel, indem man alle Beteiligten von der Praxis über die Wissenschaft bis zur Politik an einen Tisch holt und endlich auch länderübergreifend diskutiert. BVLfBMann Hanisch: „Immerhin werden wir inzwischen mehr gehört – das ist ein erster Schritt.“
Anja Dilk, freie Journalistin
B. Priebe, W. Böttcher, U. Heinemann, Ch. Kubina (Hrsg.): „Steuerung und Qualitätsentwicklung im Fortbildungssystem. Probleme und Befunde – Standardbildung und Lösungsansätze“, Klett/Kallmeyer 2019, 296 Seiten
Peter Daschner, Rolf Hanisch (Hrsg.): „Lehrkräftefortbildung in Deutschland“, Verlag Beltz Juventa 2019, 232 Seiten www.lehrerfortbildung.de
aus: Erziehung und Wissenschaft, Heft 2/2020, 32f.